Ich hatte mich entschieden, den radikalsten aller Wege zu gehen und Morbus Parkinson mit roher Gewalt entgegen zu treten, zurück zu feuern mit artifiziellen Botenstoffen aus dem Arsenal von Chemie und Kraftstrom. Dazu gehörte als letztes Mittel dieses Eingraben zweier energetischen Geschütze tief im Hirn. Parkinson, die Krankheit alter Männer, die das Leben hinter sich haben! Natürlich erhielten sie alles ihnen zustehende Mitleid einer christlich mitfühlenden Gemeinschaft, aber richtige Sorge brauchten sie ja gar nicht mehr, da sie an ihrem „Lebensabend“ angekommen waren. Mit Parkinson, dieser großen, verstörenden Unbekannten, endete das gewöhnliche Leben; danach kam vermeintlich nur noch der Tod. Da war ich noch keine 45 Jahre alt. Meine Variante dieser so genannten „Schüttellähmung“ beschränkte sich aufs Lahme: das Gehen fiel mir schwer, ich torkelte wie betrunken und hielt meinen rechten Arm eng an mich; meine gesamte rechte Seite verkrampfte schmerzhaft; alle Bewegungsmuster, die sich wiederholten wie Zähneputzen oder Schreiben, führten bei mir zum Einfrieren und zur Unbeweglichkeit. Anfangs konnte ich durch Tricks verhindern, dass meine Behinderung auffiel. Ich wollte das latente, gefräßige Mitleid meiner Umgebung nicht, den hässlich sanften Dackelblick wohlfeil gespendeten Mitgefühls. Morbus Parkinson stahl mein Selbst, aber nicht das Leben! Was für eine banale Monstrosität! Das verspottete mich, indem es mich am Leben ließ; an einem Leben ohne greifbare Qualität. – Georg Habertheuer, geb. 1957 in Österreich, Studium der Theaterregie am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Arbeitet seit 1978 in Deutschland als Theaterregisseur, seit 1988 als Redakteur und Regisseur für TV. Lebt in Köln und Essen.
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